Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung soll nach den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention in Zukunft selbstverstĂ€ndlich sein. Herausforderungen, Erfahrungen und Stolpersteine auf dem Weg zu dieser schulischen Inklusion standen im Mittelpunkt einer Veranstaltung im Dezember 2011 im Kreishaus. Rund 140 Fachleute nahmen teil. Eingeladen hatte das BildungsbĂŒro des Kreises Borken in enger Kooperation mit der Regionalen Schulberatungsstelle und dem Schulamt fĂŒr den Kreis Borken.
âInklusion bedeutet Zugehörigkeitâ, erklĂ€rte Kreisdirektor Dr. Ansgar Hörster. âGleichberechtigte Teilhabe, Selbstbestimmung und Entfaltung muss fĂŒr Menschen mit Behinderung selbstverstĂ€ndlich möglich seinâ, so Hörster. Der Kreis Borken hat sich als eine von 50 Pilotregionen in NRW an dem Modellprojekt âSonderpĂ€dagogische Kompetenzzentrenâ beteiligt. Diese unterstĂŒtzen den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap in Regelschulen.
Die Arbeit dieser Kompetenzzentren hat Professor Dr. Rolf Werning von der Leibniz-UniversitĂ€t Hannover im Rahmen eines Gutachtens fĂŒr die Landesregierung unter die Lupe genommen. Er betonte in seinem Vortrag, dass die Kompetenzzentren sich als âTĂŒröffnerâ etabliert und in den allgemeinen Schulen eine âKultur des Behaltensâ verstĂ€rkt hĂ€tten. Gleichzeitig sei der Inklusionsauftrag aber noch zu wenig in der Ausrichtung von Schulen und Unterricht verankert. âDie Grenze fĂŒr inklusiven Unterricht liegt nicht beim Kind, sondern immer beim System.â Professor Werning wies daher darauf hin, dass Inklusion eine Aufgabe aller Schulformen sei.
Einen Einblick in die Situation vor Ort eröffnete eine Podiumsdiskussion, moderiert von der Leiterin des BildungsbĂŒros beim Kreis Borken, Elisabeth BĂŒning. âDas Schulsystem hat zu lange auf HomogenitĂ€t gesetztâ, benannte Jörg Bicker vom SonderpĂ€dagogischen Kompetenzzentrum Bocholt einen der wesentlichen Hemmschuhe auf dem Weg zu mehr Inklusion. Dass etwas in Bewegung sei, zeige sich aber schon am Beispiel der Overbergschule in Bocholt. âAktuell haben wir 240 SchĂŒlerinnen und SchĂŒler, 2007 waren es noch 400â, so Bicker, der Leiter der Förderschule ist.
Birgit Möllers, Leiterin der Marien-Grundschule in Heiden, und Dagmar Dengler, Konrektorin an der Annette-von-Droste-HĂŒlshoff-Hauptschule in Ahaus-AlstĂ€tte, berichteten aus der Praxis des gemeinsamen Unterrichts. âDadurch verĂ€ndert sich das Leben und Lernen an einer Schule und auch die Haltungâ, erklĂ€rte Möllers. âAls Lehrer muss man sich erst einmal darauf einstellen, im Team zu unterrichtenâ, machte Dengler deutlich. Frontalunterricht sei nicht mehr denkbar, wenn man Kinder sehr unterschiedlicher Leistungsniveaus vor sich habe.
âInklusion erfordert erheblichen Mut von allen Beteiligtenâ, betonte Hans-Werner Bick von der Montessori-Gesamtschule in Borken, der im vergangenen Jahr der Jakob-Muth-Preis fĂŒr ihre Arbeit als âinklusive Schuleâ verliehen wurde. Die Denkweise innerhalb des bisherigen stark aufteilenden Schulsystems mĂŒsse sich Ă€ndern. âInklusion muss von unten nach oben wachsenâ, erklĂ€rte Schulrat Dirk Wasmuth, der fĂŒr die Förderschulen im Kreis Borken zustĂ€ndig ist.
Aus Sicht von Michael Sylla, Leiter der schulpsychologischen Beratungsstelle des Kreises Borken, mĂŒssen sich aber auch gesetzliche Rahmenbedingungen Ă€ndern und die Fördermöglichkeiten in den Regelschulen grundsĂ€tzlich verbessert werden. âInklusion will die Risiken schulischen Scheiterns insgesamt verringernâ, sagte der Schulpsychologe. FĂŒr alle Kinder und Jugendlichen mĂŒsse daher ein individuelles Förderpaket geschnĂŒrt werden. Wichtig fĂŒr die Entwicklung von Inklusion im Kreis sei auch, die Vorteile des gemeinsamen Unterrichts fĂŒr alle Kinder bekannter zu machen. Auch leistungsstarke Kinder profitierten von der Vielfalt der SchĂŒlerschaft.
Wie Kreisdirektor Dr. Ansgar Hörster forderte auch die Erste Beigeordnete der Stadt Borken, Mechtild Schulze Hessing, klare Regelungen zur Kostenaufteilung zwischen Land und SchultrÀgern ein. Der gemeinsame Unterricht stelle zusÀtzliche Anforderungen an die RaumkapazitÀten von Regelschulen, die nicht allein von den SchultrÀgern gestemmt werden könnten.