Die sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-/HyperaktivitĂ€ts-Störung ist ein Sammelbegriff fĂŒr eine Kombination von verschiedenen auffĂ€lligen Verhaltensweisen (Syndrom), die bei Kindern und Erwachsenen vorkommen können.
Es handelt sich dabei um drei Kernbereiche:
Das sind eigentlich ganz normale kindliche Verhaltensweisen: Viele Kinder sind lebhaft und unruhig oder zeigen ein sehr spontanes, impulsives Verhalten. Kinder können sich schlechter konzentrieren und lassen sich leichter ablenken als Erwachsene. Deshalb mĂŒssen sie aber noch nicht âAD(H)S habenâ. Was Kinder mit AD(H)S von normalen Kindern unterscheidet, ist die IntensitĂ€t und die HartnĂ€ckigkeit der Symptome sowie deren schlechte Beeinflussbarkeit. Das heiĂt, dass âAD(H)S-Kinderâ sehr viel stĂ€rker unkonzentriert und ablenkbar, impulsiv und unbeherrscht sowie motorisch unruhiger sind als andere Kinder. AD(H)S âhatâ man also nicht, wie Masern oder Mumps, sondern es geht vielmehr darum, dass bestimmte Verhaltensweisen, die ansonsten auch bei anderen Kindern vorkommen, extrem ausgeprĂ€gt und schwierig zu beeinflussen sind. Im Mittelpunkt steht dabei ĂŒbrigens die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung. AD(H)S setzt sich im Einzelfall jeweils aus Störungen der Aufmerksamkeit (immer), erhöhter ImpulsivitĂ€t (meistens) und motorischer Unruhe (manchmal) zusammen und deshalb zeigt jedes âAD(H)S-Kindâ auch ein eigenes Verhaltensmuster. Es gibt also auch betroffene Kinder, die wenig impulsiv oder hyperaktiv sind (sog. âADS-TrĂ€umerâ).
AD(H)S ist auch kein neues PhĂ€nomen. Der Nervenarzt Heinrich Hoffmann beschrieb bereits 1845 im âStruwwelpeterâ den âZappelphilippâ, ein Paradebeispiel fĂŒr ADHS (mit HyperaktivitĂ€t). Sie ersetzt frĂŒhere Bezeichnungen wie âHKSâ (âHyperkinetisches Syndromâ) oder âMCDâ (âMinimale cerebrale Dysfunktionâ), die heute kaum noch verwendet werden. Manchmal trifft man auch auf die Begriffe âADDâ (âattention deficit disorderâ, USA und England). Die Sprachregelung ist leider nicht einheitlich. âAD(H)Sâ ist der in Deutschland zur Zeit gĂ€ngige Oberbegriff. Ebenfalls wird der Begriff âADS" (âAufmerksamkeitsdefizit-Störung") verwendet, wenn keine HyperaktivitĂ€t vorliegt.
Auf der sozialen Ebene zeigen von AD(H)S betroffene Kinder hĂ€ufig ein oppositionelles (trotziges) Verhalten gegenĂŒber Erwachsenen, insbesondere was das Einhalten von Regeln oder die Erledigung von fremdbestimmten Aufgaben (Schule und Hausaufgaben) betrifft. Auch im Hinblick auf andere Kinder kommt es hĂ€ufig zu Konflikten. AD(H)S-Kinder sind i.d.R. unbeherrscht, chaotisch und sehr anstrengend. Sie stoĂen mit ihrem Verhalten bei anderen Kindern und Erwachsenen auf Ablehnung und Ausgrenzung. So entsteht ein verhĂ€ngnisvoller Teufelskreis, bei dem sich das störende Verhalten der Kinder und die massive Ablehnung der Bezugspersonen gegenseitig verstĂ€rken (destruktive MachtkĂ€mpfe). Solche Kinder schaffen es hĂ€ufig, dass wir selbst die Beherrschung verlieren und unkontrolliert âausrastenâ. In diesem sich selbst verstĂ€rkenden Teufelskreis werden beide Seiten auf Dauer zu Verlierern.
âAD(H)S-Kinderâ leiden ĂŒbrigens auch an sich selbst: Sie spĂŒren sehr sensibel, dass sie anders sind und hĂ€ufig anecken. Sie möchten gerne ihr Verhalten Ă€ndern, mehr Selbstkontrolle erlangen, jedoch fehlen ihnen i.d.R. die Mittel dazu. Deshalb sind sie auf unsere Hilfe angewiesen und es dauert lange, bis sie dazu in der Lage sind, ihr störendes Verhalten besser âim Griffâ zu haben. Die pĂ€dagogische Arbeit mit AD(H)S-Kindern ist sehr anstrengend. Aktuelle SchĂ€tzungen gehen davon aus, dass knapp 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren von AD(H)S betroffen sind (Göbel et al., 2018). Das VerhĂ€ltnis von Jungen und MĂ€dchen bei ADS ohne HyperaktivitĂ€t (âADS-TrĂ€umerâ) betrĂ€gt in etwa 1 zu 1. Bei ADHS sind es mit ca. 3 zu 1 deutlich mehr Jungen.
Eine AD(H)S-Diagnose, die in der Regel von einem Kinderarzt oder Diplom-Psychologen erstellt werden sollte, ist nicht einfach. Dies hat vor allen Dingen damit zu tun, dass die ĂbergĂ€nge von ânormalerâ, âstarkerâ oder âextremer AusprĂ€gungâ flieĂend sind und es deshalb keine prĂ€zisen Kriterien dafĂŒr gibt, ob ein bestimmtes Kind bereits âpathologischâ zerstreut, unbeherrscht oder hyperaktiv ist (umgangssprachlich: ob es âAD(H)S hatâ) oder eben vielleicht Verhaltensweisen zeigt, die noch als halbwegs ânormalâ bezeichnet werden können. Eine andere Schwierigkeit betrifft den Umstand, dass es bis jetzt noch keinen spezifischen, standardisierten âAD(H)S-Testâ gibt.
Man stĂŒtzt sich bei der Diagnose in erster Linie auf die Verhaltensbeobachtung, d.h., dass die Diagnose weitgehend aus dem beobachteten Verhalten eines Kindes erschlossen wird. Dazu benutzt der Arzt und/oder der Diplom-Psychologe sowohl eigene Beobachtungsdaten als auch wichtige Fremdbeobachtungen, zum Beispiel der Eltern oder von Lehrerinnen und Lehrern. Wenn sich dabei die Hinweise auf die o.g. âad(h)s-typischen Verhaltensweisenâ hĂ€ufen und verdichten, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur entsprechenden Diagnose. ZusĂ€tzlich werden manchmal spezielle Wahrnehmungs- und Konzentrationstests verwendet, die allerdings nicht obligatorisch sind. Ein Intelligenztest ist fĂŒr die AD(H)S-Diagnose ĂŒbrigens nicht zwingend erforderlich, da die entsprechenden Symptome vom Intelligenzquotienten eines Kindes unabhĂ€ngig sind. Allerdings muss man berĂŒcksichtigen, dass Konzentration und Arbeitsverhalten das Ergebnis eines Intelligenztestes beeinflussen.
Es gibt bis heute keine eindeutige ErklĂ€rung fĂŒr die Entstehung von AD(H)S. Allerdings geht man z.Zt. ĂŒberwiegend von einer organischen Ursache aus, die mit der Funktionsweise des Gehirns zu tun hat: Es wird vermutet, dass bei AD(H)S-Kindern die Steuerung der Informationsaufnahme und -verarbeitung im Gehirn beeintrĂ€chtigt ist. Nach dieser medizinischen ErklĂ€rung gibt es einen engen Zusammenhang zwischen UnregelmĂ€Ăigkeiten im Gehirnstoffwechsel und AD(H)S. DafĂŒr wird ein bestimmter Botenstoff verantwortlich gemacht, der an der Ăbertragung von Nervenimpulsen im Gehirn beteiligt ist: das sog. Dopamin. Offenbar hat ein Mangel an Dopamin bei diesen Kindern zur Folge, dass die FĂ€higkeit zur Steuerung der Konzentration und Aufmerksamkeit beeintrĂ€chtigt ist. Die Kinder leiden dann unter einer âReizfilterschwĂ€cheâ. Sie haben Probleme damit, unwichtige Reize auszublenden und ihre Aufmerksamkeit âscharf zu stellenâ, um sich nur auf eine Sache zu konzentrieren.
Bei dieser medizinischen ErklĂ€rung handelt es sich um eine Hypothese, die z.Zt. von den meisten Experten als gĂŒltige ErklĂ€rung akzeptiert wird. Allerdings sind die fraglichen Prozesse beim Gehirnstoffwechsel so komplex, dass die vermuteten ZusammenhĂ€nge beim einzelnen Kind selbst mit modernen Untersuchungsmethoden nicht direkt nachzuweisen sind. (Entsprechende Hinweise wurden beim klinischen Einsatz mit hochmodernen bildgebenden Verfahren gefunden, ĂŒber die jedoch kein niedergelassener Kinderarzt verfĂŒgt. Das Hirnstrombild (EEG) der Kinder ist i.d.R. unauffĂ€llig.)
Hinsichtlich der Ursachen fĂŒr die o.g. Störung im Hirnstoffwechsel wird angenommen, dass erbliche Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Bei einigen Kindern gibt es einen Zusammenhang von AD(H)S mit Komplikationen wĂ€hrend der Schwangerschaft, der Geburt oder der SĂ€uglingsphase, die die Gehirnreifung beeintrĂ€chtigen (z.B. Sauerstoffmangel wĂ€hrend der Geburt). Als mögliche Ursache wird auch immer wieder die ErnĂ€hrung ins Spiel gebracht (z.B. Zucker und Phosphate, Farbstoffe, MilcheiweiĂ etc.). Es ist nicht auszuschlieĂen, dass dies im Einzelfall eine Rolle spielt. Beim heutigen Stand der Forschung wird der Einfluss dieser Nahrungsbestandteile jedoch als gering eingeschĂ€tzt.
Kontroverse Diskussionen gibt es ĂŒber die Rolle von Umwelt und Erziehung: Es ist zumindest eine plausible These, dass die moderne Gesellschaft mit ihrem rasanten Tempo und einer stĂ€ndigen ReizĂŒberflutung in den Medien eine Generation von âAD(H)S-Kindernâ hervorbringt. Demnach ist der vorherrschende Lebensstil der âSpaĂgesellschaftâ zumindest mit dafĂŒr verantwortlich, dass Kinder sowohl Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen entwickeln als auch eine geringe Anstrengungsbereitschaft zeigen und entsprechend schnell frustriert reagieren. DarĂŒber hinaus kommen noch die Unruhe, die Hektik und der Stress der Erwachsenen hinzu.
GegenwĂ€rtig geht man davon aus, dass die Erziehung zwar nicht die eigentliche Ursache von AD(H)S ist, dass sie allerdings ganz erheblich dazu beitrĂ€gt, ob sich die Probleme verschĂ€rfen oder eben nicht. Dies leuchtet auch unmittelbar ein: Aufgrund ihrer Symptome ecken diese Kinder viel stĂ€rker an als andere Kinder. Sie ĂŒbertreten Grenzen und provozieren MachtkĂ€mpfe. Das bedeutet, dass diese Kinder natĂŒrlich deutlich schwieriger zu âhĂ€ndelnâ sind und ihre Erziehung ein Kraftakt ist. Folglich sind entsprechende âErziehungsfehlerâ auch wahrscheinlicher.
Die gĂ€ngigen Verfahren zur âBehandlung von AD(H)Sâ lassen sich in medizinische, pĂ€dagogisch-psychologische sowie unterstĂŒtzend-ergĂ€nzende MaĂnahmen unterteilen:
Bei den medizinischen Verfahren ist die medikamentöse Therapie mit Psychostimulanzien am wichtigsten. Die betreffenden Medikamente wie âRitalinâ, âMedikinetâ oder auch seit kurzem âConcertaâ werden nach eingehenden Untersuchungen i.d.R. vom Kinderarzt bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychiater verordnet. Sie sind rezeptpflichtig und fallen unter das BetĂ€ubungsmittelgesetz, weshalb sie umgangssprachlich hĂ€ufig als âDrogeâ bezeichnet werden. Die Medikamente nehmen Einfluss auf den Gehirnstoffwechsel und scheinen in der Lage zu sein, den vorhandenen Dopamin-Mangel auszugleichen und damit die Konzentration zu verbessern. Sie beruhen auf einem Wirkstoff, der anregend wirkt, bei AD(H)S-Kindern jedoch eine paradoxe Wirkung hat: Es verringert (meistens) die ImpulsivitĂ€t und die motorische Unruhe der Kinder und verbessert (meistens) deren Aufmerksamkeit, Konzentration und Ausdauer.
Die Medikamente sollen den Kindern in erster Linie helfen, um in der Schule besser zurecht zu kommen. I.d.R. wird mit einer geringen Dosierung angefangen, die hĂ€ufig erhöht wird, bis die Kinder âoptimal eingestelltâ sind. Dabei soll die regelmĂ€Ăige Einnahme zur Vermeidung von Nebenwirkungen und UnvertrĂ€glichkeiten medizinisch kontrolliert werden. Anstelle von Tabletten gibt es auch Amphetamin-SĂ€fte mit Ă€hnlicher Wirkung. Die Effekte von homöopathischen Mitteln scheinen eher fraglich. Es gibt verstĂ€ndlicherweise verschiedene Sichtweisen bei BefĂŒrwortern und Gegnern der medikamentösen AD(H)S-Therapie.
Die damit verbundenen âRisiken und Nebenwirkungenâ werden dabei je nach Sichtweise sehr schnell verharmlost oder ĂŒberspitzt. Dies verunsichert insbesondere Eltern, die eine Entscheidung dafĂŒr oder dagegen auch nicht leichtfertig treffen. Die elterlichen BefĂŒrchtungen und Ăngste betreffen wesentlich die Frage nach den Neben- und Langzeitwirkungen der Medikamente (âMacht Ritalin auf Dauer sĂŒchtig?â). Nicht selten werden Eltern heftig dafĂŒr kritisiert, wenn sie sich nach reiflicher Ăberlegung dafĂŒr entschieden haben, ihrem Kind ein Medikament zu geben.
Aus schulpsychologischer Sicht (die sich von der rein medizinischen Perspektive unterscheidet,) können wir Ihnen folgende Erfahrungen und Tipps weitergeben:
Es gibt in EinzelfĂ€llen tatsĂ€chlich gute GrĂŒnde fĂŒr die Einnahme von Ritalin bzw. vergleichbaren Medikamenten, insbesondere dann, wenn bereits zahlreiche BemĂŒhungen um eine positive VerhaltensĂ€nderung fehlgeschlagen und die Beteiligten entsprechend frustriert und mit âihrem Latein am Endeâ sind. TatsĂ€chlich gibt es einige gravierende EinzelfĂ€lle, in denen eine negative Schulkarriere vorprogrammiert ist und die Kinder ohne Medikament als ânicht mehr beschulbarâ gelten.
Im Gegensatz dazu gibt es ebenso gute GrĂŒnde gegen die Einnahme von Medikamenten, in erster Linie hinsichtlich unerwĂŒnschter Neben- oder Langzeitwirkungen. FĂŒr die medizinische Diagnose und Therapie von AD(H)S kommen nur die örtlichen KinderĂ€rzte, niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychiater oder pĂ€diatrische Kliniken in Frage. Konsultieren Sie zunĂ€chst einen Kinderarzt Ihres Vertrauens und teilen Sie diesem ihre BefĂŒrchtungen und Ăngste mit und erwarten Sie eine umfassende AufklĂ€rung. Seien Sie skeptisch, wenn Sie jemand davon zu ĂŒberzeugen versucht, âdass dieses Medikament absolut ungefĂ€hrlich ist und keinerlei Nebenwirkungen hatâ, denn schlieĂlich gibt es kaum Medikamente, die völlig frei von Nebenwirkungen sind.
Informieren Sie sich auch ĂŒber andere Quellen, wie BĂŒcher oder das Internet. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen auch mit anderen Eltern aus, deren Kinder ebenfalls ein entsprechendes Medikament bekommen. Dazu gehören auch lokale âAD(H)S-Selbsthilfegruppenâ.
Verlassen Sie sich in keinem Fall auf âdie Pille alleineâ, denn sie kann die anstrengende Erziehungsarbeit zwar erleichtern, aber keinesfalls ersetzten. Medikamentöse Therapien sollten stets mit pĂ€dagogisch-psychologischen MaĂnahmen (siehe unten âMultimodale Therapieâ) einhergehen, denn nur daraus ergeben sich die besten Chancen fĂŒr eine positive Verhaltensbeeinflussung.
Aus psychologischer Sicht hat die rein medizinische Betrachtungsweise von AD(H)S allerdings einen Haken: Wenn es nĂ€mlich zutreffen sollte, dass AD(H)S eine âangeborene Krankheitâ ist (und medikamentös behandelt werden muss), bedeutet das zunĂ€chst einmal eine groĂe Entlastung fĂŒr Eltern, Kinder und LehrkrĂ€fte: Niemand kann etwas dafĂŒr! Die Kehrseite der Medaille ist allerdings die Frage nach der Selbstverantwortung: Eine AD(H)S-Diagnose ist trotzdem kein âFreibriefâ fĂŒr problematisches Verhalten! Es stellt sich die Frage, was Eltern, Kinder und Schule trotzdem aktiv dazu beitragen können, um die Problematik zu entschĂ€rfen? Selbst wenn AD(H)S tatsĂ€chlich âmedizinisch begrĂŒndetâ sein sollte, muss man auch danach fragen, wie damit pĂ€dagogisch sinnvoll umzugehen ist. An dieser Stelle kommt also die Erziehung sozusagen âdurch die HintertĂŒrâ doch wieder mit ins Spiel. Ohne die so wichtige âerzieherische AuĂensteuerungâ (insbesondere hinsichtlich der Strukturen, Regeln und Grenzen) ist die medikamentöse Therapie relativ wirkungslos, weil oberflĂ€chlich. Eine rein medizinische Sicht von AD(H)S birgt die Gefahr, sĂ€mtliche Verantwortung an Medikamente abzugeben. Sie enthebt die beteiligten Personen letzten Endes von jeglicher persönlicher Verantwortung. Im gĂŒnstigen Fall können Medikamente erzieherisches Handeln sehr erleichtern, im ungĂŒnstigen Fall können sie es aber auch sabotieren.
Neben der medikamentösen Behandlung von AD(H)S sind pĂ€dagogisch-psychologische MaĂnahmen am wichtigsten: Das Hauptproblem besteht in der fehlenden Selbstkontrolle bzw. einer mangelhaften Eigensteuerung der Kinder. Die pĂ€dagogisch-psychologischen MaĂnahmen zielen zunĂ€chst darauf ab, die AuĂensteuerung zu erhöhen, indem man den Kindern Strukturen vorgibt, an denen sie sich orientieren können. Die gröĂere AuĂensteuerung ist die Voraussetzung dafĂŒr, um schrittweise an der Verhaltensmodifikation (VerhaltensĂ€nderung) zu arbeiten. Hier hat sich insbesondere das Prinzip der positiven VerstĂ€rkung bewĂ€hrt, bei dem die Kinder belohnt (âverstĂ€rktâ) werden, wenn sie ein angemessenes, erwĂŒnschtes Verhalten zeigen. In der Regel richten wir unsere Aufmerksamkeit zu oft auf das negative, problematische Verhalten der Kinder und wir reagieren darauf mit Sanktionen (Ermahnungen und Strafen). Diese Reaktion ist zwar ânormalâ, aber relativ wirkungslos. Psychologisch ist es nĂ€mlich so, dass Strafen ĂŒberwiegend dazu fĂŒhren, ein problematisches Verhalten zu unterdrĂŒcken, jedoch nicht, es zu Ă€ndern. Um einem MissverstĂ€ndnis gleich vorzubeugen: Wir wollen Ihnen nicht empfehlen, auf sĂ€mtliche Sanktionen zu verzichten. Bei schwerwiegenden GrenzĂŒberschreitungen ist es nĂ€mlich sehr wichtig, entsprechend deutlich zu reagieren und Sanktionen auszusprechen. Der springende Punkt ist allerdings, dass Strafen eher selten zu einer dauerhaften positiven VerhaltensĂ€nderung fĂŒhren. Das vorrangige Ziel besteht darin, den verhĂ€ngnisvollen Teufelskreis von âKind stört â Erwachsener sanktioniertâ zu unterbrechen und dem Kind ein angemessenes Verhalten zu ermöglichen. Es geht in erster Linie nicht darum, störendes Verhalten zu unterlassen als vielmehr darum, ein positives Verhalten zu entwickeln. Dies funktioniert am besten mit dem Prinzip der positiven VerstĂ€rkung und einer âPolitik der kleinen Schritteâ. Letzteres bedeutet, dass man sich zunĂ€chst auf eine konkrete Verhaltensweise konzentriert, die das Kind einĂŒben soll. Entsprechende Fortschritte des Kindes sollten möglichst konsequent positiv verstĂ€rkt werden. Auf diese Weise bekommt das Kind endlich Erfolgserlebnisse und positive RĂŒckmeldungen, die so wichtig sind, um sein SelbstwertgefĂŒhl zu stĂ€rken.
In der psychologischen Kindertherapie gibt es u.a. wirksame Methoden der Verhaltensmodifikation, die auf dem Prinzip der positiven VerstĂ€rkung beruhen und gute Erfolge erzielen (sog. âVerhaltenstherapieâ). Leider sind die Therapeuten rar und die Wartezeiten lang. Es lohnt sich allerdings, Zuhause oder in der Schule ebenfalls mit entsprechend vereinfachten VerstĂ€rker- oder Belohnungssystemen zu arbeiten, weil auch kleine Fortschritte so enorm wichtig sind.
Neben der medizinischen und pĂ€dagogisch-psychologischen Behandlung von ADS gibt es schlieĂlich noch sog. ergĂ€nzend-unterstĂŒtzende MaĂnahmen, wie zum Beispiel Ergotherapie, Entspannungstraining usw. Eine gute und empfehlenswerte Alternative ist ĂŒbrigens jede Art von Sport.
Die effektivste AD(H)S-Behandlung ergibt sich aus der Kombination von medizinischen, psychologischen (Verhaltensmodifikation) und ergĂ€nzend-unterstĂŒtzenden MaĂnahmen (sog. âMultimodale Therapieâ). Diese ist in der Praxis allerdings nicht unbedingt die Regel.
âAD(H)S-Kinderâ verstoĂen hĂ€ufig gegen unsere Normen und gegen unsere Erwartung, wie sich Kinder benehmen sollten. Das wird in der Schule schnell zu einem Problem, weil die Lehrerinnen und Lehrer von Kindern ein Verhalten einfordern, das bei AD(H)S besonders schwerfĂ€llt: ĂŒber lĂ€ngere Zeit still sitzen zu bleiben, spontanes impulsives Verhalten zu unterdrĂŒcken, sich anzustrengen und konzentriert bei einer Sache zu bleiben. Nicht nur solche Kinder tun sich damit schwer.
In der Schule wird von den Kindern selbstverstĂ€ndlich Einordnung und Disziplin, das EinfĂŒgen in vorhandene Regeln und Strukturen erwartet. Die Schule konfrontiert die Kinder mit einem hohen MaĂ an Fremdbestimmung und AuĂensteuerung. Bei einer zunehmenden Zahl von Kindern beobachtet man jedoch Schwierigkeiten, vorgegebene Regeln und Strukturen zu respektieren. Bei âAD(H)S-Kindernâ sind diese Schwierigkeiten allerdings besonders ausgeprĂ€gt. Sie stören, verweigern ArbeitsauftrĂ€ge und widersetzen sich, sind unbequem und anstrengend. Lehrerinnen und Lehrer zeigen zwar VerstĂ€ndnis, fĂŒhlen sich aber auch frustriert und hilflos. Manchmal werden sie auch wĂŒtend. So leiden AD(H)S-Kinder unter der Schule und die Schule leidet an ihnen.
Die pĂ€dagogischen MaĂnahmen im Umgang mit AD(H)S-Kindern zielen vorrangig darauf ab, den verhĂ€ngnisvollen Teufelskreis aus Stören und Ablehnung zu durchbrechen und einer weiteren Eskalation entgegenzuwirken. Es ist nicht einfach, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, denn normalerweise richtet sich die Aufmerksamkeit der Lehrerinnen und Lehrer ĂŒberwiegend auf das störende negative Verhalten der Kinder, das dann entsprechend sanktioniert wird. Viele LehrkrĂ€fte nehmen sich die Zeit, immer wieder mit den Kindern zu sprechen und hoffen auf deren Einsicht und Vernunft. Im EinzelgesprĂ€ch zeigen sich die Kinder meistens auch einsichtig und geloben âBesserungâ. Die Macht von GesprĂ€chen (âVerbalpĂ€dagogikâ) und Vernunft ist aber leider sehr begrenzt, so dass sich daraus meistens keine wirklichen VerĂ€nderungen ergeben. Auch Sanktionen bleiben hĂ€ufig ziemlich wirkungslos.
Aus unserer Sicht gibt es deshalb keine wirkungsvollere Alternative als die Arbeit am konkreten Verhalten der Kinder (Verhaltensmodifikation). Folgende Leitlinien sind dabei hilfreich:
âAD(H)S-Kinderâ brauchen Strukturen, Regeln und Rituale!
Da die betroffenen Kinder zu einem âchaotischen Verhaltenâ neigen und sehr leicht abzulenken sind, ist es wichtig, den Unterricht gut zu strukturieren und wiederkehrende Rituale einzubauen. DarĂŒber hinaus ist es hilfreich, Dinge zu reduzieren, die ablenken können (z.B. RĂŒcken zum Fenster). ArbeitsauftrĂ€ge sollten möglichst verstĂ€ndlich, einfach und schrittweise erfolgen. U.U. RĂŒckversicherung einholen, ob das Kind die Anweisung auch wirklich verstanden hat. Wichtige Klassenregeln mĂŒssen erarbeitet und etabliert werden.
Volle Aufmerksamkeit fĂŒr positives Verhalten!
âAD(H)S-Kinderâ bekommen i.d.R. sehr viel Aufmerksamkeit und ânegative Zuwendungâ fĂŒr störendes, unangemessenes Verhalten, was dieses meist noch verstĂ€rkt. Stattdessen ist es besser, die Kinder konsequent zu verstĂ€rken, wenn sie positives Verhalten zeigen. (âPrima. Ich habe gesehen, dass du dich gerade gemeldet hast, so wie wir es vereinbart haben.â)
Reden ist Silber, Handeln ist Gold!
Bauen Sie nicht so sehr auf die âMacht der Worteâ. NatĂŒrlich ist die Kommunikation mit dem Kind sehr wichtig und unverzichtbar. Sie sollten aber mit konkreten Anleitungen und Hilfestellungen fĂŒr das Kind einhergehen (z.B. Signal vereinbaren, wenn es abgelenkt ist).
Reagieren Sie möglichst besonnen, sachlich und konsequent!
Dies gilt gleichermaĂen fĂŒr GrenzĂŒberschreitungen, die nicht hingenommen werden können und eine deutliche Reaktion bzw. Sanktion erfordern wie auch fĂŒr positives Verhalten, das möglichst sofort und konsequent verstĂ€rkt werden sollte.
Verhaltensmodifikation mit der âPolitik der kleinen Schritteâ!
Konzentrieren Sie sich zunĂ€chst nur auf ein Ziel, nicht mehrere gleichzeitig. Arbeiten Sie mit dem Kind gezielt an einer konkreten Verhaltensweise, wenn Sie ein VerstĂ€rkungs- bzw. Belohnungssystem einsetzen (z.B. âWenn Du etwas sagen willst, musst Du vorher aufzeigenâ).
Setzen Sie realistische Ziele!
Von einem âAD(H)S-Kindâ zu erwarten, dass es lange Zeit still sitzt oder konzentriert und ausdauernd arbeitet, ist unrealistisch. Verbesserungen können nur schrittweise erfolgen, indem man realistische Ziele setzt, die das Kind gerade noch bewĂ€ltigen kann. (âIch möchte, dass Du die nĂ€chsten zehn Minuten an dieser Aufgabe arbeitest. Danach kannst du eine Pause machen.â)
Arbeiten Sie an der Anstrengungsbereitschaft des Kindes!
Kindern mit AD(H)S fĂ€llt es besonders schwer, sich zu ĂŒberwinden, unangenehme Aufgaben anzugehen. Sie reagieren darauf mit starken Vermeidungstendenzen. Hier ist es wichtig, die Kinder zu ermutigen, sich anzustrengen, obwohl es ihnen sehr schwer fĂ€llt. Dabei steht zunĂ€chst nicht das Arbeitsergebnis im Vordergrund, sondern das tatsĂ€chliche BemĂŒhen, die Aufgabe zu meistern. (âIch weiĂ, wie schwer dir das jetzt gefallen ist, aber ich habe gesehen, wie toll du dich bemĂŒht hast. Prima!â)
Diese Leitlinien fĂŒr den Umgang mit AD(H)S-Kindern beschrĂ€nken sich nicht allein auf die Schule, sondern gelten ebenso fĂŒr den hĂ€uslichen Bereich, wo man mit den gleichen Faustregeln gute Erfolge erzielen kann (z.B. bei den Hausaufgaben). DarĂŒber hinaus ist sehr hilfreich, sich trotz aller Probleme immer wieder auch auf die vorhandenen StĂ€rken der Kinder zu konzentrieren!