Die Studie „Passungswahrnehmung als Mediator zwischen positiven Beziehungen und Zielorientierungen im Schulkontext“ (Ramseier und Neuenschwander) aus der Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie (2024) untersucht, ob die Passungswahrnehmung von Schüler*innen Effekte positiver Lehrer-Schüler-Beziehungen auf Lernzielorientierung und Leistungszielorientierung in der Sekundarstufe 1 erklärt.
Hierfür ist zunächst eine Klärung der beiden Begrifflichkeiten nötig:
- Unter Lernzielorientierung versteht man die empfundene Relevanz, Neues zu erlernen und die eigenen Kompetenzen weiterzuentwickeln.
- Leistungszielorientierung legt den Fokus auf soziale Vergleiche, wobei das Ziel darin besteht, die eigenen Fertigkeiten innerhalb einer Gruppe zu vergleichen.
Rolle der Schule
Die Befunde der Studie legen nahe, dass die positiven Effekte von Lehrer-Schüler-Beziehungen auf die Annäherungs-Zielorientierung durch die Wahrnehmung einer passenden Lernumgebung vermittelt werden. Dies bedeutet, dass eine positive Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülern*innen dazu führt, dass Schüler*innen sich mehr mit ihren Zielen identifizieren und motivierter sind, wenn sie das Gefühl haben, dass die Lernumgebung gut zu ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten passt.
Dieses Ergebnis belegt die die „Stage-Environment-Fit-Theorie“. Diese besagt: motivationale Überzeugungen im schulischen Umfeld werden durch eine starke Passung zwischen der Person und ihrer Umwelt (hier Übereinstimmung zwischen den Angeboten der schulischen Lernumwelt und Schüler*innen) gefördert.
Wichtige Merkmale dieser Passung dabei sind emotionale Bedürfnisse, Fähigkeiten und Interessen (Brown & Lent, 2005; Etzel & Nagy, 2015).
Schüler*innen, die das Gefühl haben, dass die Lernumgebung gut zu ihren Bedürfnissen passt, sind eher motiviert, ihre Lernziele zu verfolgen.
Im Gegensatz dazu ist die Leistungszielorientierung stärker von den früheren Erfahrungen und Einstellungen der Schüler*innen abhängt und weniger von der aktuellen Wahrnehmung der Lernumgebung. Dadurch ist die Leistungszielorientierung weniger von der aktuellen Lernumwelt geprägt und stabiler als die Lernzielorientierung.
Rolle der Eltern
Zudem lassen die Ergebnisse dieser Studie darauf schließen, dass das Engagement und die Unterstützung der Eltern (v.a. Elterninteresse) eine Rolle dabei spielen, wie Schüler*innen ihre schulische Lernumgebung wahrnehmen. Wenn Eltern interessiert sind und sich aktiv mit den schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder beschäftigen, kann dies dazu führen, dass die Schüler*innen die Lernumgebung als besser passend für ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten empfinden.
Fazit
- positive Lehrer-Schüler-Beziehungen fördern die motivationalen Überzeugungen der Schüler*innen, da sie das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit erfüllen.
- Soziale Eingebundenheit zu einer Lernumgebung trägt dazu bei, dass sich Schüler*innen selbstbestimmt erleben. Dieses Gefühl der Selbstbestimmung führt dazu, dass die Schüler*innen intrinsisch motiviert sind, also aus eigenem Interesse und Antrieb lernen, anstatt nur durch äußere Anreize motiviert zu werden.
- Bildung von Erwartungen und Werten im schulischen Umfeld sind entscheidend von der Passungswahrnehmung abhängig - und diese wird wiederum durch die Lehrer-Schüler-Beziehung gefördert.
Weiterführende Aspekte zum Thema
- Vor allem in der Sekundarstufe sind positive Lehrer-Schüler-Beziehungen (LSB) entscheidend für die Passungswahrnehmung, da Jugendliche ein starkes Bedürfnis nach sozialen Beziehungen außerhalb der Schule aufweisen.
- Wertschätzung und Unterstützung von Lehrpersonen fördert eine positive Einstellung zur Schule (Midgley et al., 1989), steigert die Offenheit gegenüber Aufgaben und führt dazu, dass diese als interessanter wahrgenommen werden (Midgley et al., 1989; Koca, 2016; Pakarinen et al., 2021).
- Zudem tragen positive Rückmeldungen von Lehrpersonen dazu bei, dass der Unterricht als besser auf die individuellen Fähigkeiten der Schüler abgestimmt wahrgenommen wird (Amerstofer & Freiin von Münster-Kistner, 2021; McFarland et al., 2016).
- Coping-Strategien und selbstregulativen Fähigkeiten der Schüler*innen können die Wahrnehmung von Passung zwischen ihren Bedürfnissen und der Lernumgebung unterstützen, was wiederum die motivationalen Überzeugungen beeinflussen kann (Larsen & Prizmic, 2004; Van Vianen, 2018; Yu, 2013).
- Negative Lehrperson-Schüler*in-Beziehungen können Konfliktpotenzial aufweisen (Hangenauer & Raufelder, 2022; Kuhn & Hagenauer, 2021). So geht das Bestreben, geringere Fähigkeiten zu verbergen, geht eher mit negativen Beziehungsaspekten der Lehrperson-Schüler*in-Beziehungen einher, wie etwa ungerecht empfundenen Bewertungen (z.B. Noten) oder einer mangelnden Unterstützung durch die Lehrperson (Church et al., 2001; Koca, 2016).
Literatur
L. Ramseier & M. P. Neuenschwander, “Passungswahrnehmung als Mediator zwischen positiven Beziehungen und Zielorientierungen im Schulkontext,” Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, vol. 56, no. 3, pp. 130–143, Jul. 2024, doi: 10.1026/0049-8637/a000286.